10.–12. Schuljahr
Helmut Kohorst und Philipp Portscheller
Wozu Hefe nicht alles gut ist …
Vom experimentellen zum logistischen Wachstum

Die Übertragbarkeit der am Hefe-Beispiel gewonnenen Beobachtung können (und sollten!) Schülerinnen und Schüler an weiteren - z.B. den hier zusammengestellten - Datensätzen prüfen, zu denen sie eigene Explorationen und Modellbildungen durchführen. Es ergeben sich dabei immer wieder Anlässe zu notwendigen kritischen Reflektionen: Dass das Modell des logistischen Wachstums manchmal auch weniger gut zu den Daten passt, mindert allerdings nicht den Beschreibungs-, Erklärungs- und Prognosewert dieses Modells an sich, sondern kann und sollte jeweils dazu genutzt werden, die im Zuge eines Modellbildungsprozesses grundsätzlich notwendigen Abstraktionen zu reflektieren und die Aussagefähigkeit von Modellen überhaupt kritisch zu hinterfragen. Festzuhalten ist: Das logistische Wachstumsmodell beschreibt nur recht allgemein ein (sanft) gebremstes Wachstum und wird daher stets nur ungefähr, aber nicht genau passen.

hefe3.txt = Textfile
hefe3.xls = Excel `97 Tabelle
hefe3.dyn = Dynasis files

Datensatz 1:
Sonnenblumenwachstum (Reed/Holland 1919) Dieser Datensatz erfordert bei seiner Auswertung und beim "Überstülpen" des logistischen Wachstumsmodells eine durchaus kritische Betrachtungsweise: Fraglich ist zunächst die Zuverlässigkeit der Daten insbesondere in den ersten Wochen der "Erhebung": die extreme Genauigkeit (auf 10tel mm!!) der hier angegebenen Höhen ist kaum glaubhaft! Ferner passt dieses Modell erst in der zweiten Hälfte der "Beobachtungszeit" wirklich gut zu den erhobenen Daten. Ein plausibler Grund für die am Anfang größeren Abweichungen zwischen Modell und "Wirklichkeit" könnte z.B. in den konkreten Wetterbedingungen (Sonnenschein, Temperatur, Niederschlag) während der "Erhebungszeit" im Jahr 1919 liegen, doch dazu enthält der Datensatz leider keine Angaben. Theoretisch möglich ist schließlich auch, dass bei "Beobachtungsbeginn" die Höhe schon einige cm betrug, oder dass Sonnenblumen grundsätzlich in den ersten Wochen schneller wachsen und daher vielleicht hier ein anderes Modell besser passen würde (vgl. auch den Datensatz zur Entwicklung der Weltbevölkerung).

sonnenblu2.txt = Textfile
sonnenblu2.xls = Excel `97 Tabelle

Datensatz 2:
Wachstum der Weltbevölkerung seit 1650 (Carr/Saunders; UN; DSW) Der Datensatz legt eine zeitlich differenzierte Analyse nahe: Bis zum 20.Jhdt. kann man mit guter Passung "exponentielles Wachstum", seit etwa der Mitte des 20.Jhdts. dagegen "logistisches Wachstum" unterstellen, wobei sich anhand der Untersuchung eine Stabilisierung der Weltbevölkerung am Ende des 21.Jhdts. bei ca. 8,3 Mrd. prognostizieren lässt. Diese möglichen "Ergebnisse" werfen gleich mehrere inhaltliche Fragen auf: · Wer oder was führte zur Änderung des Wachstumsverhaltens in der Mitte des 20.Jhdts.? (Zunächst sprunghafte Wachstumsbeschleunigung als Folge des "Entwicklungshilfe"-Beginns 1950; vgl. auch Kohorst (1992, 1993)) · Wer oder was "bremst" eigentlich das Wachstum der Weltbevölkerung? (Übergreifen des "Demographischen Übergangs" auch auf "Entwicklungsländer", Familienplanung und sozioökonomische Entwicklung; vgl. auch Kohorst (1992, 1995)) · UN-Hochrechnungen gingen noch kürzlich davon aus, dass sich die Weltbevölkerung in der 2.Hälfte des 21.Jhdts. auf einem Niveau von 10-15 Mrd. (je nach Prognosevariante) stabilisieren wird. Welche anderen Daten benutzte die UN für ihre Prognosen, oder hat sich etwa jüngst der Wachstumsprozess so geändert, dass die hier vorliegenden Daten ein niedrigeres Stabilisierungsniveau erwarten lassen? · Kann man ein Stabilisierungsniveau wirklich als "Kapazitätsgrenze" interpretieren? Ist nicht eine "Kapazitätsgrenze" lediglich eine unter bestimmten Randbedingungen konstante Grenze, die sich aber - hier je nach Produktionsmöglichkeiten und Konsumverhalten der Menschheit - durchaus verändern kann?

w_bev3.txt = Textfile
w_bev3.xls = Excel `97 Tabelle
w_bev3c.dyn = Dynasis file

Datensatz 3:
Wachstum von Pantoffeltierchen-Populationen in zwei Ansätzen (Gause 1934) Die beiden Ansätze und die zugehörigen Daten zum Wachstum der Pantoffeltierchen entstammen den Versuchen von Gause, der die Pantoffeltierchen in Gefäßen mit Osterhauts Medium kultivierte, einer Salzmischung, die zwar für die Pantoffeltierchen bekömmlich ist, jedoch die Vermehrung der Bakterien, die das Futter der Pantoffeltierchen darstellten, unterbindet. Im zweiten Ansatz erhielten die Pantoffeltierchen jeweils die doppelte Futtermenge im Vergleich zum ersten Ansatz.. Auffällig ist das relativ starke Schwanken der Werte der Populationsentwicklung, für das folgende Erklärungen denkbar sind: · Die Populationsdichte innerhalb des Kulturgefäßes, aus dem jeweils 0,5 ml einer Probe entnommen wurde, war etwas ungleichmäßig und spiegelt sich entsprechend in den Proben. · Die Populationsdichte wurde zwar primär von der zugeführten Nahrung bestimmt, aber unvermeidliche Milieuschwankungen haben ebenfalls Einfluß auf die Vermehrungsrate, so daß die Daten etwas verrauscht sind. · Die Vermehrung der Pantoffeltierchen erfolgt nicht völlig kontinuierlich, sondern in Teilschüben. Akzeptiert man diese hypothetischen Faktoren, dann ist es legitim, zunächst die Daten mit einem Glättungsverfahren zu bearbeiten, um dann auf die geglätteten Daten das Modell des logistischen Wachstums anzuwenden. Sicherlich wird man aber die Legitimität dieses Verfahrens der doppelten mathematischen Modellierung diskutieren müssen.

pantoff2.txt = Textfile
pantoff2.xls = Excel `97 Tabelle
pantoff2.dyn = Dynasis file

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